Online-Verhalten mit sozialem Lesen üben

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen und entstand im Rahmen des Kurses „Online Safety“ der European Schoolnet Academy.

Motivation

Wir ermahnen unsere Kinder und Schüler zu vorsichtigem Verhalten, wenn sie Beiträge in sozialen Netzwerken veröffentlichen wollen. Gleichzeitig raten Experten Lehrpersonen, sich in sozialen Netzwerken zu engagieren, damit sie ein Verständnis entwickeln können, welchen Herausforderungen die junge Generation heute gegenübersteht. Dabei sprechen sie von Sexting, Sextortion, Bullying und Hate speech. Dann schaue ich mir meine eigenen Aktivitäten auf sozialen Netzwerken an (nicht Facebook und ähnliche). Netzwerke, in denen sich Menschen gegenseitig technische Hilfe leisten, Rat geben und Probleme lösen. In diesen Netzwerken sind die oben genannten Probleme kaum präsent. Daher gehe ich davon aus, dass die Probleme, mit denen einige Netzwerke kämpfen, durch eine alles andere als ideale Sozialisierung ihrer Mitglieder entstehen. Offensichtlich wissen diese Menschen nicht, wie man soziale Medien und das Internet dazu nutzt, mit anderen zu kommunizieren. Und genau dies möchte ich meinen Schülerinnen und Schülern beibringen.

Aber wie macht man das? Selbstverständlich können Richtlinien und Verhaltensregeln eine Hilfe sein, aber meistens bleiben sie abstrakt und sie werden nicht immer erfolgreich in die Praxis umgesetzt.

Technischer Hintergrund (hilfreich aber nicht notwendig)

Seit vielen Jahren steht an der Sekundarschule Romanshorn-Salmsach ein Lernmanagement-System auf der Basis von Moodle zu Verfügung, welches Lernende nutzen können, um mit Online-Übungen zu lernen und Mitteilungen mit anderen auszutauschen. In der Regel blieb dieser Austausch jedoch informell. Die Installation des Content Pages Plugins ermöglichte einen Ansatz, der darüber hinausgeht, da es diese Erweiterung erlaubt, Materialien zu präsentieren, die dann von den Schülerinnen und Schülern auf einfache Weise kommentiert werden können. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Kommentare zu kommentieren.

Die Aktivität

Für die Aktivität selbst, wurde ein Onlinetext von etwa 100 Seiten in eine Content Pages Aktivität eingebunden. Der Text beschreibt einige Wochen im Leben eines Mädchens, welches sich selbst für unbeliebt hält und mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hat. Jeder Anschnitt der Erzählung (jeweils etwa ein halbes Kapitel) wurde mit Fragen ergänzt. Die Fragen nahmen nicht direkt Bezug auf die Geschichte, sondern sie zielten auf ähnliche Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler. Einige der Fragen waren ziemlich harmlos, z.B. die Frage nach dem Lieblingsessen, andere waren persönlicher, wenn beispielsweise eine erste Beziehung Thema war.

Für jeden Abschnitt (d.h. jede Seite in Content Pages) mussten die Schülerinnen und Schüler mindestens eine der Fragen beantworten. Dabei ist zu beachten, dass immer eine Reihe von verschiedenen Fragen zu Verfügung standen. Von Anfang an machte ich die Schüler immer wieder ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ich jeweils einen Beitrag erwarte. Aber es sei ihre Aufgabe während des Austausches, sich immer wieder Gedanken darüber zu machen, welche private Informationen sie gegenüber anderen enthüllen möchten.

Die Ergebnisse

Die Aktivität verfolgte zwei Ziele: Einerseits sollten die Schülerinnen und Schüler einen längeren fiktionalen Text lesen, andererseits dazu persönlich Stellung nehmen.  Sie war sehr erfolgreich: Die Schüler lasen den Text mit grossem Interesse. Aus einer traditionellen Leseaktivität wurde ein soziales Leseerlebnis, an dem sie sich sehr aktiv beteiligten. Sie lasen ein Stück des Textes, wählten eine Frage aus, beantworteten sie – und dann warteten sie gespannt darauf, was andere aus der Klasse zum gleichen Thema schreiben würden. Die Schülerinnen und Schüler bewegten sich im Text vorwärts und zurück – und da die Aktivität vorwiegend während der Unterrichtszeit  im Klassenzimmer ihren Lauf nahm, entstanden Diskussionen on- und offline.

Die Aktivität bot den Schülerinnen und Schüler viele Möglichkeiten, über potentiell problematische Beitrage nachzudenken. Und sie gab ihnen einen Einblick, wie unterschiedlich verschiedene Menschen eine Situation wahrnehmen und darauf in ihrem Leben reagieren. Dieser Umstand war für einige Schülerinnen und Schüler eine eigentliche Offenbarung. Dieses Vorgehen trug aber nicht nur zum Bewusstsein bei, wie man sich online verhalten sollte und wie man mit unterschiedlichen Ansichten umgeht, sie führte die Klasse auch näher zusammen und schaffte eine soziale Grundlage, welche nach über einem halben Jahr immer noch sichtbar ist.

Zusätzliche Bemerkungen

Im beschriebenen Beispiel arbeiteten die Schülerinnen und Schüler ziemlich lange an einem grösseren Text. Selbstverständlich ist es möglich, mit dem beschriebenen Vorgehen auch mit kürzeren Texten zu arbeiten.

Für ein anderes Mal möchte ich meine Klasse mit einem kontroversen Thema arbeiten und dieses in der beschriebenen Art diskutieren lassen.

Fragen und Antworten

Weshalb hast du für die Aktivität nicht einfach ein Forum verwendet?

Moodle stellt verschiedene Formen von Foren zu Verfügung. Ich bin aber der Meinung, dass es durch Content Pages für Lehrperson und Schüler einfach wird, einen Inhalt und gegenseitige Bemerkungen zu kommentieren.

Ist es möglich, die Inhalte zu erweitern, nachdem die Lernenden mit der Arbeit begonnen haben?

Ja, weitere Inhalte können jederzeit eingefügt werden. Allenfalls ändert sich dadurch die Nummerierung einer Seite.

Schülerinnen und Schüler können auch Fragen stellen. Hast du das versucht?

Das haben wir ausprobiert. Für die Schülerinnen und Schüler war es aber schwierig, gute Fragen zu stellen. Abgesehen davon, ging es bei dieser Aktivität vor allem darum, gestellte Fragen zu beantworten.

Was für Fragen hast du den Schülern gestellt?

Ich stellte Fragen zu ihrem Alltag, ihrer Familie, ihren moralischen Vorstellungen und so weiter. Die meisten Fragen waren offen formuliert, damit die Schülerinnen und Schüler diese aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven beantworten konnten.

Wie gross war der Zeitaufwand für die Vorbereitung?

Es war gar nicht so einfach, den Text sinnvoll zu zerlegen und zu jedem Teil sinnvolle Fragen zu stellen, ohne sich zu wiederholen. Am Schluss kamen mehrere hundert Fragen zusammen.

Eigentlich hatte ich gar nicht beabsichtigt, den ganzen Text auf diese Wiese zu lesen. Zuerst dachte ich, dass wir es bei 3-4 Kapiteln belassen würden. Aber die Schülerinnen und Schüler waren mit so grosser Begeisterung dabei und übten auch entsprechenden „Druck“ aus, dass ich mich entschied, mit der Aktivität fortzufahren. So kam es, dass die Antworten der Schülerinnen und Schüler aus den früheren Kapiteln auch einen Einfluss auf die späteren Fragen hatten.

Wie sah eine typische Lektion aus?

Die Schüler sassen vor ihren mobilen Computern und lasen und schrieben. Immer wieder huschte ein Lächeln über das Gesicht einer Schülerin oder eine Schüler, wenn sie einen Kommentar lasen, den sie nachvollziehen konnten. Manchmal schwappte eine Welle der Aufregung durch den ganzen Raum, wenn jemand einen Kommentar geschrieben hatte, der die Gefühle der anderen gut ausdrückte.

Planst du weitere solche Aktivitäten?

Ja, in meinen Augen hat diese Art von sozialem Lesen im traditionellen Unterricht viel Potential und lohnt sich aus verschiedenen Gründen.

Was würdest du ein anderes Mal ändern?

Was ich gerne von meinen Schüler sehen würde, dass sie vermehrt auch auf die Kommentare der anderen eingehen und damit den Austausch verstärken. Und ich würde die Schüler gerne dazu ermuntern, selbst mehr Fragen zu stellen – und dies nicht nur, um meine eigene Arbeitsbelastung zu verringern.

Ein Blick auf das Plugin und die Diskussion

Regeln zur Aktivität

Mit meinem Beiträgen zeige ich, dass ich den Inhalt gelesen und über meine eigenen Erfahrungen nachgedacht haben.

Wir kommentieren so, dass wir die Privatsphäre von uns und anderen nicht verletzen.

In unserem Kommentaren sind wir freundlich und hilfreich.

Zu einem bestimmten Thema dürfen wir unterschiedliche Ansichten und Meinungen haben.

Beispiele von Antworten der Schülerinnen und Schüler

Funktionen des Plugins

Die Schülerinnen und Schüler können Kommentare oder Fragen schreiben. Sie können Kommentare gegenseitig kommentieren oder bewerten (liken).

Falls nötig kann die Lehrperson alle Beiträge ändern oder löschen.

Da die Aktivität in Moodle eingebettet ist, stehen die entsprechenden Gruppenfunktionen zu Verfügung. Die Aktivität kann also nur einer bestimmten Gruppe von Personen zugänglich gemacht werden.